Gotik

Seminare/Wahlfächer im SS 2018 und SS 2019 zur Architektur und Geometrie bzw. Gestaltungsgeometrie: Gotische Raumwelten und Regelbasiertes Entwerfen in der Gotik

Dozent*innen: Akad. Dir. Cornelie Leopold, Dipl. Ing. Romy Link
gemeinsam mit Dr. Ulrike Weber - Darstellung und Gestaltung

Projekt von Moritz Brucker
Studien zum Heilig-Kreuz-Münster in Schwäbisch Gmünd, Projekt von Moritz Brucker

Die Geometrie gehörte in gotischer Zeit zu den Sieben Freien Künsten und war damit gegenüber den praktischen Künsten als höherrangig zu bewerten. Stolz verwendeten auch gotische Architekten das Symbol der Geometrie, den Zirkel, um sich gegenüber den einfachen Handwerken, den Steinmetzen, Maurern und Zimmermännern, in den Stand der Wissenschaft zu erheben. Die Kreuzzüge hatten im 12. Jh. verloren gegangenes Wissen aus dem arabischen Raum zurück nach Westeuropa gebracht. Insbesondere die Übersetzungen der Schriften Euklids aus dem Arabischen hatten grundlegenden Anteil an der architektonischen Gestaltung gotischer Kathedralen.

Projekt von Marla Scherdel und Kristina Baimler
Studien am Beispiel der Kathedrale Notre-Dame in Reims
Projekt von Marla Scherdel und Kristina Baimler
Projekt von Marla Scherdel und Kristina Baimler

Das zur Zeit der Gotik erfundene sogenannte Maßwerk gründet sich auf das neue Interesse an geometrischen Regeln, die in Fassaden, Fenstern und anderen wesentlichen raumgliedernden Elementen zum Ausdruck kommen. Auch die entworfenen Ausstattungsgegenstände wie ornamentale Glas- und Wandmalereien, Altäre oder Bodenfliesen basierten auf solchen geometrischen Gliederungen, die immer komplexer wurden und das Können der gotischen Architekten demonstrierten. Sie waren mit Bezug auf den Betrachter bzw. die räumlichen Funktionen gestaltet und beeinflussten den architektonischen Raum und dessen Wirkung maßgeblich. Herausragende Kathedralen wie jene von Reims waren als Gesamtkunstwerk konzipiert, bei denen das additive Sehen beim Durchschreiten des Gebäudes eine wesentliche Rolle spielte. Das Langhaus wird maßgeblich durch die regelmäßigen Pfeiler mit ihren Diensten unterteilt, lässt den Raum länger wirken und unterstreicht die Monumentalität. Frühe Sterngewölbe markierten die Vierung als besonderen Raum, in dem sich Lang- und Querhaus kreuzen. Einen besonderen räumlichem Reiz übten die spätgotischen Gewölbe aus, in denen sich ein Zusammenspiel von Konstruktion und Ornament auf der Grundlage geometrischer Raumkonzeptionen ausdrückt.

Projekt von Moritz Brucker
Muster, Maßwerk und Gewölbe
Projekt von Moritz Brucker
Projekt von Moritz Brucker

In der Lehrveranstaltung wurde der Zusammenhang von gestalterischer Ordnung und Funktion mittelalterlicher Räume untersucht. Historische und geometrische Grundlagen der gotischen Zeit bildeten den Ausgangspunkt für die Analyse gotischer Raumwelten. Sie verdeutlichte, welchen hohen Wissensstand gotische Architekten trotz einfachster zur Verfügung stehender Mittel besaßen. Denn selbst mit digitalen Hilfsmitteln war die Geometrie komplexer gotischer Rosetten schwierig nachzuvollziehen und brachte konstruktiv problematische Details hervor. So setzten sich die Studierenden beim Nachmodellieren mit geometrischen Grundlagen wie der Konstruktion von regelmäßigen Vielecken und Symmetrieoperationen auseinander. Sich berührende Kreise verschiedener Größe mussten ermittelt werden. Dabei war die Rahmenstärke des Maßwerkes und seine Überschneidungen zu bedenken. Waren die grundlegenden geometrischen Regeln gefunden, nutzten die Studierenden sie als gestalterisches Mittel für eigene Entwürfe und traten damit das Erbe der gotischen Architekten an.